Wie man keinen Roman schreibt

Zum Beispiel, indem man ihn erst gar nicht
beginnt. Damit wäre die Eingangsfrage geklärt.
Aber so einfach ist es nicht, man kann auch ohne
Idee loslegen – ohne zu wissen wohin der Weg
führt. Das Experiment wird zum Gradmesser der
Faulheit. Ich dachte, warum etwas alleine
schreiben? Zu zweit wird sich schon ein Muster
finden, vorausgesetzt, die zweite Person pflegt
einen ähnlichen Stil und ist mit meinem
einverstanden.

Die Toten, mit denen ich gerne ein gemeinsames
Buch geschrieben hätte, kann ich nicht mehr in
meine Betrachtungen einbeziehen – sie stehen ja
nicht mehr auf und spitzen den Bleistift. Bei den
lebenden Schriftstellern sieht es kaum besser
aus: entweder werde ich von ihrem Intellekt
dermaßen überfordert, oder von ihrer
literarischen Einfalt erschlagen. Erst wenn man
sich etwas kennengelernt hat – es muss nicht
persönlich sein, ein Briefe-E-Mail-Kontakt reicht
– und gleichgeschaltete Verbindungen in Form von
Ansicht, Einstellung und Urteil entdeckt, wird
der Gedanke zu einer Co-Autorenschaft greifbar.

Eines nachts im Sommer, mittelprächtig abgefüllt,
aktualisierte ich mein Adressbuch, sprich, ich
strich Namen heraus. Ähnlich verfahre ich bei der
Entrümpelung des Kellers, des Kleiderschranks,
und wissend, dass ich irgendwo auf der Welt
ebenfalls rausgestrichen werde. Die Einstellung
meines E-Mail-Programms ist so konfiguriert, dass
der Absender automatisch gespeichert wird, sobald
ich antworte. Manchmal will jemand wissen, wie
das Wetter in Dortmund ist. Ich antworte: 22
Grad. (Im Sommer ist es wärmer, besonders
draußen.) Dank der seichten Trunkenheit und dem
Einklang mit den Dingen, stach ein Name hervor,
den ich auch gar nicht löschen wollte, er räkelte
sich im Register wie eine Diva auf dem Kanapee.

Dann war er plötzlich aktuell, der Gedanke, einen
Gemeinschaftsroman zu schreiben. Natürlich gibt
es zuhauf Beispiele wo es gut klappte und
scheiterte. Entweder bricht sich der Stil
dermaßen und schafft Misstöne, oder er harmoniert
und verschmilzt. Manchmal überzeugt das
Verkaufsargument der Verlage die Autoren, zwei
Namen verdoppeln die Synergie, also Werbung und
Absatz. Kunden, die K gekauft haben,
interessieren sich auch für M.

Plötzliche Gedanken lösen bei mir oft spontane
Aktionen aus, in diesem Fall tippte ich eine
Mail, und bekam zwei Tage später Antwort. Wie ich
es mir genau vorstelle? Worüber können wir
schreiben? Einen Verlag, der uns unterstützt,
haben wir auch nicht. Es fehlte viel. Zuerst
brauchten wir eine Idee, dazu ein Konzept –
Handlungsrahmen und Protagonisten. Während die
Vorschläge hin und her wanderten, machten wir aus
der Ideensuche eine Handlung. Unterbrochen von
Phasen der schlechten Stimmung, Dienstreisen,
Urlauben und schönem Wetter, geviertelt durch
Arbeits- und Feiertage, gingen zwei Jahre durchs
Land, dann war das Manuskript (auf dem Computer
getippt) fertig, aber roh und nicht gebraten.

In Deutschland
existieren ca.
3000 Verlage,
33 Prozent
davon widmen
sich der
schöngeistigen
Literatur. 2017
machten rund 7
Prozent aller
Verlage 95 Prozent des Gesamtumsatzes, was
wiederum bedeutet, dass wir bei Random House und
Co. wenig Chancen hatten. Dort liegt der Fokus in
der Wirtschaftlichkeit, der Lektor kreiert das
Produkt zum Verkauf. Hier müsste die Arbeit des
Autors enden, schließlich steht er als Ingenieur
nicht am Fließband. Unsere Lektorin, die meine
Co-Autorin aufgegabelt hatte, war gleichzeitig
Verlegerin, Journalistin, Schriftstellerin und
Reisende. Ihre Zeitfenster pro Tätigkeit glichen
schwarzen Löchern: winzig und massereich. Zuerst
verschluckte sie unser Manuskript. Dann stieß sie
Jets aus, Seite für Seite. Das Layout nahm
Gestalt an, doch ein Veröffentlichungstermin lag
noch weit hinter dem Ereignishorizont. Es braucht
Zeit, um die Befindlichkeiten dreier Personen mit
der Arbeit am Buch zu koordinieren.

Kein Schriftsteller sagt, er habe die Absicht
kein Buch zu schreiben, er tut es ja doch und
jammert, wenn die Absagen eintrudeln. Niemand
versteht seine Genialität. Der Literaturbetrieb
ist ein Gemisch aus Zufall, Glück und
Beziehungen.

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