Johnson Van Dyke Grigsby

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Johnson Van Dyke Grigsby hatte einen Pappkoffer mit wenigen Habseligkeiten in der Hand, darunter eine abgegriffene Bibel, drei alte Uhren, eine Flasche Fußspray und ein Päckchen Tabak, als er durch die Tore des Indiana State Penitentiary Gefängnis schritt, diesmal nach draußen. Es war ein kalter Dezembertag im Jahre 1974, und Michigan City musste ihm wie eine neue Welt erschienen sein, denn genau vor 66 Jahre, vier Monaten und einem Tag, wurde er wegen Mordes zweiten Grades zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nun war er 89 Jahre alt.
Im Februar 1886 erblickte Grigsby in Jefferson County, Kentucky, das Licht der Welt.  Am 08. August 1908 war er bereits der Gefangene mit der Nummer 4045. Ein Jahr vorher, am 03. Dezember 1907, so die Anklage der Jury, hatte er James Brown in einem Saloon in Anderson mit dem Messer so verletzt, dass dieser daran starb. Der zuständige Staatsanwalt, der gerade für den Senat kandidierte, wollte sich mit Härte gegen Verbrechen profilieren, was Grigsby am Leib erfahren musste, denn das Opfer war weiß, er schwarz.
Was geschah damals im Saloon? Man spielte Five Card Stud Poker. Johnson Van Dyke Grigsby erinnerte sich: „Ich hätte niemals verurteilt werden dürfen, weil dieser Mord mehr ein Selbstmord war. Ich war in diesem Saloon und habe mich nur um meine Angelegenheiten gekümmert, und dieser Kerl kommt zu mir. Ich trug damals immer einen großen Diamanten. Und er hat diesen Diamanten gesehen, kommt her und sagt: Willst du mitspielen?
Ich hatte ein Ass, einen König, einen Buben und eine Zwei in meiner Hand, als er aufstand und mir drohte. Ich hatte dieses kleine Hirschfußmesser, das ich herauszog und ihm einfach in die Schulter rammte. Er blutete, aber er war so betrunken, dass er keinen Arzt aufsuchen wollte. Blieb an der Bar wie ein Verrückter oder so, anstatt ins Krankenhaus zu gehen. Er war ein Narr, das war er. Sagte nur immer wieder: Ich brauche keine Hilfe. Wir haben sogar einen Arzt zu ihm nach Hause geholt, aber er ging ins Bett und wollte keinen Arzt.“
James Brown wurde am folgenden Tag tot auf seiner blutgetränkten Matratze gefunden, und der Sheriff, der ihn festgenommen hatte, sagte, wie Grigsby rekapitulierte: „Sie hätten sich dort keinen besseren aussuchen können, Van Dyke. Er war ein gemeiner SOB.“
Zu anderen Zeiten jedoch erzählte Grigsby – der der Sohn befreiter Sklaven war –, dass die Dinge ganz anders gelaufen seien. Brown habe ein Messer gehabt, sagte er der Kokomo Tribune, und er hatte es ihm während des Kampfes weggenommen. Bei einer anderen Gelegenheit gab er zu, dass er, nachdem der Streit über dem Kartentisch ausgebrochen war, den Salon verließ und zu einem Pfandhaus ging, um ein Messer einzulösen, das er dort verpfändet hatte. Damit war der notwendige Vorsatz begründet, um eine lebenslange Haftstrafe zu rechtfertigen. 
Der Ahnenforscher Reginald Pitts, der sich mit der Geschichte befasst und die Originalquellen studiert hatte, kam zu dem Entschluss, dass die Elemente der verschiedenen Berichte kombiniert worden waren: „Laut dem Protokoll des Prozesses spielten Mr. Brown und Van Poker. Flüche und rassistische Beleidigungen wurden ausgesprochen, und Mr. Brown zog ein Messer. Van verließ die Bar, ging nach Hause und holte sein eigenes Messer. Mr. Brown sah Van die Straße hinauf zur Bar kommen. Er nahm einen Stuhl und warf ihn auf Van, der ihm auswich, und sich dann auf Mr. Brown stürzte. Angeblich hatte der Anwalt Grigsby aufgefordert, sich des Mordes zweiten Grades schuldig zu bekennen, um dem elektrischen Stuhl zu entkommen. Was immer tatsächlich der Auslöser dieser Tat war oder wie sie begangen wurde, bleibt im dunkeln. 
Grigsbys Hauptbeschäftigungen im Knast waren das Bibellesen, ein Lexikon und ein Wörterbuch. 
„Diese Enzyklopädie ist ein erstaunliches Buch“, sagte er. „Ich habe alles von A bis Z gelesen.“ Sein anderes Interesse galt dem Boxen, er erinnerte sich häufig an den Titelkampf zwischen Jack Johnson und Jim Jeffries im Schwergewicht von 1910. 
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Natürlich waren die Verhältnisse für Schwarze anders, so wurde Grigsby institutionalisiert, er verbrachte einen großen Teil seiner Haftstrafe unter psychiatrischer Beobachtung – eine Quelle spricht von fast 50 Jahren, eine andere von 55 Jahren. Als Van Dyke Grigsby 1974 das Gefängnis verließ, fiel es ihm schwer sich an die Freiheit zu gewöhnen, also schickte man ihn in das Pflegeheim Woodview in Michigan City, wo er größtenteils für sich blieb und vom Personal als launisch und ohne Freunde beschrieben wurde. 1976 kehrte er freiwillig ins Gefängnis zurück – ein Schritt, den er gegenüber einem Reporter bedauerte – nachdem er sich darüber beschwert hatte, dass das Leben in diesem Haus langweilig sei und er erwartet hatte, einen Job zu finden, „aber es gab keine Arbeit, es war, als wäre man nutzlos.“
Der alte Mann wurde im Gefängniskrankenhaus untergebracht, weil es die Wärter für das beste hielten. Sein Bewährungshelfer John Rascka sagte, dass Grigsby ein Einzelgänger war, der nur mehr wusste wie er behandelt wurde. Hier erhielt er mehr Aufmerksamkeit, berichtete die Bryan Times: „Das Personal mag ihn. Er erzählt fabelhafte Geschichten.“ Einer sagte: „Van Dyke ist einfach der süßeste alte Mann, aber er verwendet ab und zu die ‚französische Sprache‘.“
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Ende November 1976 verließ Grigsby das Gefängnis erneut, mittlerweile im Alter von 91 Jahren, und dieses Mal für immer. „Ich bin schon zu lange hier. Ich werde nicht zurückkommen“, sagte er, als er in das Heim von Marion County in Indianapolis gebracht wurde. „Ich fühle mich wie neugeboren.“
Zudem habe er die Jahrzehnte über 33 erfolglose Versuche unternommen, um Bewährung zu erhalten. Er fand sein Urteil grausam und wünschte sich manchmal, der Richter hätte ihn lieber zum Tode durch den Strang verurteilen sollen, fügte aber hinzu: „Ich habe mein ganzes Vertrauen auf Gott gesetzt. Das muss eine Bedeutung haben.“
Das andere Hobby des alten Mannes während seiner Zeit im Gefängnis war das Sammeln von Schlüsseln, was den Journalist Hamilton J. Bims vermuten ließ: „Die Schlüssel könnten Zeichen seiner anhaltenden Überzeugung sein, dass er immer noch eine Art Gefangener ist.“
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Dieser Text wurde im Dezember 2010 für 1.280 U.S.Dollar versteigert.
Johnny Cash schrieb 1976 ein Lied  über Johnson Van Dyke Grigsby, „Michigan City Howdy Do“, und schenkte ihm einen Farbfernseher. 
„Die Menschen sind gleich“ resümierte Grigsby, „du bringst dich nur in Schwierigkeiten und alle möglichen Dummheiten. Bring dich ruhig in Schwierigkeiten. Ich bleibe für mich. Lies meine Bibel. Warum, genau das mache ich.“
Johnson Van Dyke Grigsby starb 1987 im Alter von 101 Jahren.
Quellen:
[Ebenholz, Dezember 1975; St. Petersburg [FL] Evening Independent, 9. September 1976; Jet, 16.9.1975 + 6.1.1977; Bryan Times, 9. August 1976; Beaver County Times [PA], 25. November 1976; Kokomo Tribune, 28. November 1979.]