Adebar und Adele

Wie jedes Jahr wurde Adebar am Ende seines Urlaubs melancholisch. Er hatte mehrere Monate in Südafrika verbracht, viel getrunken, gespielt und lange geschlafen – aber nie alleine. Es sei anzumerken, dass Adebar zur Gattung der Schreitvögel gehört, er ist ein Weißstorch im besten Alter.
Obwohl ihn sein Instinkt im Frühjahr nach Deutschland trieb, um erstens einen brauchbaren Kaminsims, und zweitens eine Frau für die Paarung zu finden, wurde er bei der Abreise sentimental, hatte er doch vier Affären gehabt: mit einem Marabu, zwei Sattelstörchen und einem Jabiru. Adebar packte seinen Kulturbeutel, seufzte und flog los. Es war ein anstrengender Flug bzw. ein monotones Gleiten, erst hinter der Sahara ging er runter um ein Schlückchen zu trinken, da begegnete er Adele, die sich als Buntstörchin vorstellte und irritiert fragte, wie sie nach Hessen käme, und er meinte, man könne ja ein bisschen gemeinsam fliegen. Adele war entzückt. Er setzte sich an die Spitze und zeigte den Weg. Wie das so ist, wenn Monotonie herrscht, schon zwei Tage später rief er ihr zu: „Willst du mich heiraten?“ 
„Ja“, antwortete sie, „aber wir müssen auf jeden Fall noch zusammen tanzen und mit den Schnäbeln klappern, das macht ihr Weißstörche auch, oder?“
Süß, dachte er, süß und naiv, unerfahren und jung und hübsch. Sie fanden ein verlassenes Nest auf dem Schornstein einer Dorfkirche. Adebar meinte, er habe den Horst schon letztes Jahr gebaut, und Adele glaubte es. Sie glaubte so ziemlich alles was er ihr sagte, dann richtete sie das Kinderzimmer her und legte drei Eier. 

„Wo ist denn der nächste Supermarkt?“, fragte sie, als die Kinder schlüpften und Hunger hatten.
Adebar telefonierte mit dem Lieferservice und schärfte ihr ein, das Nest auf keinen Fall zu verlassen, da draußen herrsche Konsumkrieg. In Wirklichkeit wollte er nicht, dass sie seine schlechten Angewohnheiten entdeckte, zu denen Wein, Weib, Gesang und Spiel gehörten. Er schlief recht lange und blieb genauso lange weg. Adele brachte ihm Kaffee zum Frühstück und Antipasti, und wenn er spät abends, bzw. früh morgens nach Hause kam, beschenkte er sie mit einer Schachtel Konfekt. Nun war er aber ein Koloniebrüter, er hatte nicht vor Adele im nächsten Frühjahr wieder zu schwängern, vielleicht einen Regenstorch, wer weiß, und im Herbst ginge es zurück nach Afrika, bis dahin wollte er der Leichtigkeit frönen. Adebar erzählte lauter Storchengeschichten, also lauter Lügenmärchen. „Ich war unterwegs und hab` Babys abgeliefert“, pflegte er zu sagen.
Adele fragte: „Wo lieferst du denn Babys ab?“
„Bei den Menschen natürlich. Weißt du, die Menschen können nichts alleine machen, immerfort brauchen sie uns, ob Nahrung oder Kleidung, und beim Kindermachen kommen sie auch nicht ohne uns aus.“
Kurz darauf schellte das Telefon. Nachdem er aufgelegt hatte, sagte er: „Da ist ein neues Baby fällig, ich muss heute Abend liefern.“ 

Er schlief noch ein Stündchen und sie kochte Kaffee. Die Zeit im Club verging wie im Fluge, gegen Mitternacht schauten die Abdimdamen rein, ihre schwarzen Gefieder reflektierten das Neonlicht, der Wirt mixte exotische Cocktails, man lachte, trank, spielte Mahjong und frequentierte die Separees. Diesmal kehrte er erst gegen 8 Uhr morgens heim. 
„Eine ganz schwierige Geburt“, sagte er und reichte seiner Frau eine Schachtel Mon Cherie, „die Arbeit bringt mich noch um.“
Er trank eine Flasche Bier und fügte hinzu: „Das waren übrigens fünf Mädchen.“
Adele wusste nicht, dass die fünf Mädchen ca. 20 Jahren alt waren und knallrot geschminkte Schnäbel hatten. Zuerst tratschten die Nachbarn vom Strommast gegenüber, sie kamen vorbei und klapperten, irgendwann pfiffen es die Spatzen von den Dächern. Also zog Adele eine Windjacke über, flog durch die Gegend und schaute sich um. Sie hörte, was die Störche redeten. Niemand brachte Babys zu den Menschen, es sei ein Aberglaube – wie mit dem Osterhasen und Weihnachtsmann -, und wenn das jemand behauptet, lügt er. In der Stadt, die eine knappe Flugstunde vom Dorf entfernt lag, flanierten halb betrunkene Weißstörche wie flatternde Regenschirme im heftigen Wind, einige stolperten unsanft und halbseidene Damen kümmerten sich darum, das heißt, die alkoholisierten Männer wurden mit lieben Worten betört und anschließend gefleddert. Adele kurierte den Schock der Erkenntnis mit eingelegten Froschschenkeln, die sie nachdenklich beim Fernsehen verspeiste. 

Als Adebar eines Morgens lange nach dem Hahnenschrei nach Hause kam, empfing sie ihn brüsk: „Na, du Schwindler, wie geht es denn den schwarzen Fünflingen heute?“ 
Bevor er antworten konnte, warf sie ihm einen Dachziegel vor den Kopf.