Die seltsamen Reisen des Herrn W., auch so könnte Wielands Roman heißen. Oder: Der Mann, der die DDR selbst dann nicht verlassen wollte, als es die DDR nicht mehr gab. Noch treffender, bzw. zum Kern der Sache kommend: Ein Journalist der nicht reist, weil er das Reisen nicht mag.
Mark Twain, eher Bummelant, sagte: „(Reise)Journalisten sind Menschen, die täglich darüber nachdenken, welchen Beruf sie verfehlt haben.”
Es geht dort weiter, wo Rayk Wielands Debüt "Ich schlage vor, dass wir uns küssen" aufhört. Herr W. ist nun 40 Jahre alt. Der Eiserne Vorhang existiert nicht mehr. Er sieht trotzdem keinen Grund seine Zone zu verlassen, obwohl er das könnte. „Die Reisefreiheit”, so sein Credo, „ist immer die Reisefreiheit des anderen.” Dummerweise schreibt er entsprechende Reportagen für ein angesehenes Magazin, und seine Mittel zur Recherche sind Internet, Telefon und Lexika. Und wie es sich für eine Groteske gehört, wird der Held übermütig, warum kein 5-Sterne-Hotel und ein 18-Loch-Golfplatz am Diamantenhügel Nordkoreas? Dieser Golfplatz ist der sinnloseste Luxus, den sich Nordkorea leistet und deshalb nicht gerne darüber spricht, hier spielen nur akkreditierte Diplomaten, UN-Beamte, NGO-Vertreter. Etwa 100 pro Jahr.
Wer kennt nicht das Gefühl, auf den Spuren einer Beschreibung zu wandern und festzustellen, dass der eigene Weg ganz anders verläuft, weil die Wahrheit des Autors nur für den Moment gilt? Aber zur Selbstverständlichkeit eines Journalisten gehört, rauszufahren und zu prüfen, ob die Welt noch so ist wie sie war, darum glaubt der gemeine Tourist dem geschriebenen Wort.
Rayk Wieland, 1965 in Leipzig geboren, ist studierter Philosoph und (Reise)Journalist, und als Autor für das Satiremagazin Titanic tätig. Die Geschichte seines ersten Romans, Ich schlage vor, dass wir uns küssen, beruht auf einer wahren Begebenheit. Sagt er. Und die DDR hat es wirklich gegeben.
Im zweiten Buch erfahren wir von den Umbrüchen der Zeit, kleinen Rückblicken und festgesetzten Verhaltensmustern, und obwohl es die Grenze nicht mehr gibt, bleibt Herr W. konsequent im Ostteil Berlins.
Die Authentizität der Wielandschen Lektüre wirkt stellenweise überdreht, mit Stilblüten wie „Wer reist denn schon? Doch nur Leute, die sich nicht leisten können zu Hause zu bleiben.”
Ausgerechnet nordkoreanische Diplomaten, die in Herrn Ws Artikel ein Politikum vermuten, lassen ihn auffliegen. Niemand, der unerwünscht ist, kommt auf legalem Weg in das Land. Und Herr W. hatte nicht mal ein Visum.
Der Verleger bittet zum Rapport. W. nimmt ein Taxi, das Taxi baut einen Unfall, W. landet lädiert im Urban-Krankenhaus, und das liegt hinter seiner DDR-Demarkationslinie in Kreuzberg. Herr W. flüchtet in die nordkoreanische Botschaft, die sich als Hostel herausstellt, und beantragt Asyl. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn alle elektrischen Einrichtungen so funktioniert hätten, wie in Nordkorea selbst, nämlich oft gar nicht, aber der chinesische Rauchmelder an der Decke der Botschaft tut seine Arbeit bereits, sobald nur eine Person bei geschlossenem Fenster Cigarren raucht. War es das Desinfektionsmittel, das man zur Behandlung seiner Kopfwunde im Krankenhaus auftrug? Oder der Pulverlöscher für Flammen- und Glutbrände, Brandklassen A, B und C, den eine blondierte Nordkoreanerin übereifrig auf Herrn W. und in seinem Zimmer entlud? Oder die Mischung aus beidem? Der Protagonist nimmt es wie von Gott gegeben hin, sein Haupthaar wurde binnen kurzer Zeit grau. „Als ich im Klospiegel meinem Konterfei gegenübertrat (...) Ich zog einen Nachbarspiegel hinzu (...) Ich war im Mahlstrom der Ereignisse der letzten Stunden und Tage, komplett angegraut - fast weiß.”
Er fühlt sich von zwei Männern in dunklen Anzügen verfolgt und tut das, was ihm bislang nicht in den Sinn kam, er reist zur größten noch existierenden Mauer - und zwar nach China. Und er trifft seine große Liebe wieder, Liana, ausgerechnet in Shanghai.
Protagonist und Protagonistin erleben Shanghai. Sie erkunden diese Stadt tatsächlich. Und Herr W. resümiert: „Wenn ich eine Reportage über Shanghai zu schreiben hätte, würde sie beginnen mit den Sätzen: Haben Sie gerade nichts vor? Dann bleiben Sie dabei. Und kommen Sie auf keinen Fall in diese Stadt.”
Vernunft gehört in den Bereich der Illusion, sie läuft gegen eine Mauer aus ironischem Sprachwitz und grotesken Begebenheiten. Kein Feuer, das nicht brennt, ist eine Metapher zum flackernden Kamin im Plasmabildschirm, eine Illusion ohne Antworten: „Woher weiß der Abend, was in den Nachrichten kommt? Welche Informationen liegen der Nacht vor, betreffend unsere weiteren Aussichten?”
Rayk Wieland
Kein Feuer, dass nicht brennt
Roman, 156 Seiten, gebunden
Kunstmann Verlag
ISBN: 978-3-88897-748-0
März 2012
16,95 Euro
Autor
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